Gladbachs Trainer erklärt, warum er nie Angst um seinen Job hatte, wie er jetzt Platz 9 erreichen will und warum er Neuhaus weiterhin nicht auf Instagram folgt.
SPORT BILD: Herr Seoane, als Schweizer mit spanischer Staatsbürgerschaft dürfen Sie sich zur Hälfte als Europameister fühlen. Was haben Sie bei der EM gesehen, das Sie in Gladbach auch angehen?
Gerardo Seoane (45): Ich habe mich über den EM-Titel gefreut, war auch von der Spielweise der Schweiz und Deutschland sehr angetan. Diese Teams waren meine Lichtblicke. Wir kennen alle die gute Technik, das gute Passspiel, die Kreativität der Spanier. Mich hat darüber hinaus bei diesem Turnier vor allem ihre Aggressivität, ihr Gegenpressing und ihre wahnsinnige Kapazität zu sprinten begeistert. Abschauen würde ich mir aber etwas anderes ...
Und zwar?
Was bei großen Turnieren immer wieder sichtbar wird, ist der Stolz und die Ehre der Spieler, für ihr Land aufzulaufen. Das ist auch bei Olympia zu beobachten. Dieses Gemeinschaftsgefühl noch mehr im Team zu kreieren ist ein Ziel für uns.
Stichwort Olympia. Sie tauschen sich häufig mit Sportlern und Trainern anderer Sportarten aus.
Mich fasziniert die Mentalität der Sportler. Man muss sich bewusst machen, dass mehr als 80 Prozent der Olympioniken nicht gewinnen werden. Die meisten wissen das auch, bereiten sich dennoch vier Jahre lang auf den einen Moment vor – weil sie gegen sich selbst konkurrieren und ihre persönliche Bestleistung abrufen wollen. Daran können wir uns ein Beispiel nehmen: Dass wir es schaffen, an unsere individuellen Grenzen zu gehen und den absoluten Willen entwickeln, besser zu werden.
Sie haben Vizemeister Stuttgart zum Vorbild erklärt. Was können Sie vom VfB lernen?
Stuttgart hat zwar vor der vergangenen Saison den ein oder anderen sinnvollen Transfer gemacht, hatte vor allem aber im eigenen Kader schon viel Potenzial, das einfach Zeit brauchte, um sichtbar zu werden. Spieler, die schon dort waren wie Millot, Karazor oder Führich haben dann ein neues Leistungs-Niveau erreicht.
Gladbach hat nach Rang 14 vergangene Saison jetzt Platz neun als Ziel ausgegeben. Kann Borussia schon zum Überraschungsteam werden?
Wir sorgen gerne für eine positive Überraschung, keine Frage. Vergangene Saison hat niemand von uns gesagt: Wenn wir uns retten, sind wir zufrieden. Wir wollen es mit unserem Weg schaffen und nehmen einen neuen Anlauf. Je schneller es nach oben geht, desto besser.
Was muss besser werden?
Wir hatten ein gutes Umschaltspiel, haben viele Treffer durch viele verschiedene Schützen erzielt und hatten auch eine überdurchschnittliche Qualität bei Standards. Das war auf der einen Seite antrainiert, auf der anderen Seite aber auch etwas Spielglück. Was wir verbessern müssen: Wir haben zu viele Gegentore zugelassen, waren im letzten Drittel nicht griffig genug. Ich möchte, dass wir wieder aktiver spielen, mehr agieren als reagieren. Wir wollen mehr Ballbesitz haben, den Gegner mehr dominieren und unangenehm spielen – auch im Spiel gegen den Ball.
Seoane: „Weiß, dass ich Resultate liefern muss“
Sie haben mal gesagt, im modernen Fußball müsse auch ein Trainer immer wieder sein Gesicht verändern. Wo hat sich das Gesicht von Gerardo Seoane vor der neuen Saison verändert?
Ich frage mich jede Woche aufs Neue, was meine Mannschaft jetzt braucht. Braucht sie mehr Lob? Braucht sie mehr klare Richtlinien? Braucht sie mehr Spaß? Mein Gesicht und das des Trainerteams wird es sein, noch mehr Zuversicht auszustrahlen und zu zeigen: Wir sind im Angriffsmodus und können mit unseren Möglichkeiten besser performen als vergangene Saison. Diese Werte bestimmen gerade unsere Vorbereitung.
Sie standen öffentlich in der Kritik, hatten einen schlechteren Punkteschnitt als Ihre Vorgänger Adi Hütter und Daniel Farke, die jeweils nach einer Saison gehen mussten. Hatten Sie Angst um Ihren Job?
Natürlich waren wir alle nicht zufrieden mit der Entwicklung. Und natürlich bin ich mir als Trainer auch bewusst, dass ich Resultate liefern muss. Aber Angst hatte ich nicht. Weil wir immer eng und offen miteinander kommuniziert haben. Weil wir immer zu hundert Prozent das Vertrauen des Klubs gespürt haben. Nach dem Pokal-Aus in Saarbrücken waren wir uns alle einig, dass es eine schwierige Schlussphase in der Liga werden würde und dass wir jetzt erst recht am selben Strang ziehen müssen.
Seoane: „Musste keinem erklären, warum Gladbach sexy ist“
Sie haben mit Tim Kleindienst, Kevin Stöger oder Philipp Sander die gewünschten Spieler mit mehr Leader-Qualität bekommen. Wie überzeugen Sie neue Spieler davon, dass Gladbach sexy ist?
Ganz ehrlich: Ich musste noch keinem Spieler erklären, warum Gladbach sexy ist. Alle hatten richtig Bock auf Gladbach. Mir war wichtig, den Neuen ihre Rollen und unsere Ziele mitzuteilen. Gladbach ist ein großer Traditionsverein. Die Stimmung im Stadion ist einmalig in der Bundesliga, und der Support der Fans auch in schwierigen Momenten großartig.
Vergangene Saison wurden 31 Punkte nach Führungen verspielt. Es hieß, die Mannschaft müsse erwachsener werden. Wie schaffen Sie das?
All diese Erfahrungen waren bitter, aber rückblickend wichtig für uns. Um ein höheres Niveau zu erreichen, muss ein Spieler diese Fehler alle mal gemacht haben. Als Coach ärgert man sich darüber zwar zunächst genauso wie jeder Zuschauer. Aber wenn einem Spieler diese Fehler ab sofort weniger unterlaufen, dann war das ein wichtiger Prozess. Nach einer Saison mit vielen Fehlern erhoffen wir uns jetzt, dass wir einen Schritt weiter sind.
Sie haben Jonas Omlin einen Vorsprung vor Moritz Nicolas eingeräumt. Warum gestalten Sie den Kampf ums Tor nicht komplett offen?
Im Tor kann ich nicht wie beim Eishockey oder beim Handball dauernd wechseln – vielleicht kommt das mal, aber in meinem Denken braucht es auf dieser Position Stabilität. Jonas ist unsere Nummer eins. Wenn Moritz jeden Tag besser trainiert und spielt, werden wir auch auf dieser Position nachdenken. Aber wir wollen auf der Torhüterposition mit Klarheit starten.
Florian Neuhaus und Ihnen wurden immer wieder persönliche Differenzen nachgesagt. Hat er unter Ihnen dieselben Chancen wie jeder andere Spieler?
Um das klarzustellen: Es gibt weder mit Florian Neuhaus noch mit irgendeinem anderen Spieler persönliche Probleme. Wenn es Probleme gibt, sprechen wir sie an. Ein anderes Thema ist, dass ein Spieler nicht zufrieden mit seiner Spielzeit und seiner Rolle innerhalb der Mannschaft ist – das ist auch absolut legitim. Auf der anderen Seite ist das Trainerteam aber auch nicht immer ganz zufrieden mit dem Gegenwert, den wir von einem Spieler bekommen. Der finale Kader steht, wenn das Transferfenster geschlossen ist. Bis dahin setzen wir alle Jungs bestmöglich ein, damit sie Argumente liefern können, um in der Saison eine wichtige Rolle zu spielen. Das gilt nicht nur für Florian, sondern für alle Spieler. Es ist offensichtlich, dass auf seiner Position im zentralen Mittelfeld aktuell viel Personal da ist. Wenn Manu Koné zurückkommt, haben wir dort sieben Spieler. Das ist eine Situation, die sowohl für das Trainerteam als auch für die Spieler herausfordernd ist.
Sie sagen, es gibt keine persönlichen Differenzen. Warum folgen Sie Florian Neuhaus weiterhin nicht auf Instagram?
Das ist kein Thema, mit dem ich mich beschäftige. Ich folge auch gar nicht allen Spielern und schaue ohnehin nicht darauf, wem ich folge und wem nicht. Ich folge den Leuten querbeet. Ich habe mich auch schon 15-mal verklickt und folge Leuten, denen ich nicht folgen möchte.
Wenn Sie sich eine Zeile aussuchen dürften, die SPORT BILD nach der Saison bringt: Welches Schlagwort soll darin auftauchen? Pokalsieger? Europa? Trainer des Jahres?
Ganz einfach: Der eingeschlagene Weg von Borussia geht in die richtige Richtung.